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Alles lässt sich begründen

Art. 29 CMR


  1. Lassen Sie sich überraschen.

  2. Negative Feststellungen werden beklagt.

[Leitsätze der Redaktion]


LG Berlin, Urteil vom 22.9.2006 - :-o 11/2006

(Vorinstanz: die reale Welt)


Tatbestand

Die Kl. hat die Bekl. mit der Beförderung von 36 Tonnen Müll von Berlin nach Moskau beauftragt. Für die Beförderung hat die Bekl. einen unbeschrifteten LKW mit kugelsicherer Zugmachine eingesetzt, gefahren von zwei steuerzahlenden Fahrern deutscher Nationalität. Zur Absicherung für die üblichen Gefahren auf der Strecke Berlin Moskau hat die Bekl. Des Weiteren zwei Panzer, mit Sondergenehmigung der jeweiligen Strassenbehörden, eingesetzt, wobei Panzer Nummer 1 (“P1”) im Durchschnitt zwanzig Meter vor dem LKW und Panzer Nummer 2 (“P2”) im Durchschnitt zwanzig Meter hinter dem LKW fuhr. Beide Panzer wurden mit jeweils zwei Fahrern, ebenfalls steuerzahlend und deutscher Nationalität, besetzt. P1 und P2 hatten waffenmässig die gleiche Aussttattung, die aus verteidigungspolitischen Gründen hier nicht näher beschrieben wird und im Übrigen zwischen den Parteien unstreitig ist. Zwischen Drozewich und Mlosevich in Weissrussland kommt es zu einem Überfall auf den Konvoi, wobei die Ladung samt LKW erbeutet wird. Der Überfall gestaltet sich im Wesentlichen wie folgt: ein Jagdflieger vom Typ MIG 29 nähert sich dem Konvoi von hinten, nimmt P1 und P2 erfolgreich mit laser-gelenkten Waffen unter Beschuss, wodurch diese außer Gefecht gesetzt werden. Ein Bodeneinsatzsonderkommando, zusammengesetzt aus etwa 20 dem Spetsnaz ähnelnden Personen, übernimmt das Geschehen, stürmt den LKW, zwingt die zwei LKW Fahrer mit Kalashnikovs zur Übergabe des LKWs und entfernt sich danach mit der Beute vom Tatort. Die Polizei wird verständigt und trifft nach 3 Stunden und 21 Minuten ein, um festzustellen, dass vom LKW und seiner Ladung jede Spur fehlt. Ein Protokoll wird aufgestellt.

Die Kl. macht Schadensersatz in Höhe von € 1.311.979,73 zuzüglich Zinsen seit dem 22.9.1981 geltend.

Entscheidungsgründe

Die Bekl. wird verurteilt, an die Kl. € 1.311.979,73 (eine Million dreihundertundelf Tausend neunhundertneunundsiebzig Euro und siebenunddreißig Eurocent) zuzüglich 5% Zinsen ab dem 22.9.1981 zu zahlen.

Der Anspruch der Kl. ergibt sich aus Artikel 17 CMR. Die Bekl. hat zwar schlüssig dargelegt, dass alle sechs Fahrer zum Zeitpunkt des Geschehens im Besitz eines gültigen Führerscheins waren und auch im übrigen für die ihnen zugewiesenen Aufgaben qualifiziert waren. Warum die Ladung dennoch abhanden gekommen ist, hat die Bekl. jedoch nicht hinreichend und haftungsbefreiend dargelegt. Nach Artikel 17 des anwendbaren CMR Abkommens besteht eine Gefährdungshaftung des Frachtführers. Nur wenn es sich um ein unabwendbares Ereignis handelt, kann sich der Frachführer von seiner Haftung befreien.

Es ist nich einzusehen, weshalb die Erbeutung der Ladung ein unabwendbares Ereignis gewesen sein soll. Die Bekl. wendet ein, sie hätte einer militärischen Übermacht gegenüber gestanden. Der Übergriff wurde jedoch anfangs lediglich mit einem Jagdflieger vom Typ MIG 29 vorgenommen. Die MIG 29 ist ein veraltetes Modell, dass unter normalen Umständen den Herausforderungen einer modernen militärischen Auseinandersetzung nicht gewachsen ist. Der Einwand des Bekl., einem Frachtführer ist nicht zuzumuten, sich gegen einen militärischen Überfall zu bewaffnen, ist nicht zutreffend. Die Tatsache, das die Bekl. den LKW von zwei Panzern begleiten liess, zeigt gerade dass man auf einen militärischen Überfall gefasst war und dass ein solcher nicht als unwahrscheinlich ausgeschlossen werden konnte. Deshalb hat die Bekl. sich die Frage zu stellen , warum die MIG 29 nicht einfach vom P2, der gerade für die Rückdeckung das Konvoi begleitete, mit Flugabwehrraketen ausser Gefecht gesetzt wurde. Unbestritten ist, dass P2 (wie P1) mit Waffen ausgestattet war, die der MIG 29 weit überlegen waren. Zuständig für den Einsatz der Flugabwehrraketen war der zweite Fahrer von P2, hiernach “P2-FB” genannt, der unbestritten für diese Aufgaben ausgebildet war und über die nötige Erfahrung verfügte. Es reicht jedoch nicht, wie die Bekl. es getan hat, die grundsätzlichen Fähigkeiten ihrer P2-FB hervorzuheben, sondern es ist auch darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass P2-FB in diesem Fall adäquat und gewissenhaft mit der ihm zumutbaren Sorgfalt und Treffsicherheit reagiert hat. Dies hat die Bekl. nicht schlüssig darlegen können. Es ist sogar davon auszugehen, dass P2-FB nicht so reagiert hat, wie von ihm verlangt werden konnte und dass, wenn er im , reagiert hätte wie es von ihm unter den, zugegebenermassen nicht alltäglichen Umständen, hätte erwartet werden können, es durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte, dass P2-FB die MIG 29 ausser Gefecht gesetzt hätte. Diese, einer Festellung gleichstehende, Vermutung ist vor allem dadurch gerechtfertigt, dass nach dem Vorfall die Ehe des P2-FB durch ein inzwischen rechtskräftiges Urteil geschieden wurde. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass einer Ehescheidung eine psychisch strapaziöse Zeit vorangeht, die selbst einen äußerst belastbaren Mann, obwohl es ihm vielleicht weniger anzusehen ist als einer Frau unter ähnlichen Umständen, so mitnimmt, dass er seinen täglichen Aufgaben zeitweilig nicht gewachsen ist. Unter diesen Umständen hätte die Bekl. nicht das Risiko eingehen dürfen, P2-FB auf diese anspruchsvolle Fahrt nach Moskau einzusetzen.

Der Vortrag der Bekl., sie hätte von den familiären Umständen des P2-FB zur dem Zeitpunkt nichts gewusst und auch nichts wissen müssen, da familiäre Umständen Privatsache wären, entlastet sie nicht. Ein gewissenhafter Arbeitgeber kümmert sich um das allgemeinen Wohl seiner Angestellten, gerade auch dann, wenn familiäre Umstände das Wohl der Angestellten beeinträchtigen. Es gehört somit zu den Pflichten des Arbeitgebers, dass er durch Beobachtung und, wenn nötig, durch diskretes Nachfragen, sich ein Bild vom allgemeinen Wohl eines Mitarbeiters verschafft. Die Tatsache, daß die Bekl. jetzt in diesem Verfahren behauptet, familiäre Umstände seien Privatsache, zeigt, dass sie sich nicht wirklich um das Wohl ihrer Mitarbeiter kümmert. Damit fällt der Bekl. ein Verschulden zur Last, dass nach Auffassung des Gerichts bedingtem Vorsatz gleichkommt. Es müsste jedem klar sein, dass ein derartiges Verhalten des Arbeitgebers mehr als nur grob leichtfertig ist und in dem Bewusstsein erfolgt, dass ein Schaden wahrscheinlich eintreten würde. Somit ist eine Ausnahme des Artikes 17 CMR nicht gegeben und sind zugleich die Erfordernisse des Artikel 29 CMR erfüllt. Auf die Rechtsfolgen wird nach Festellung der Schadenshöhe eingegangen.

Die Kl. behauptet, es seien Diamanten in Wert von € 1.311.979,73 in dem beförderten Müll versteckt gewesen. Die Kl. hat zwar keinen schriftlichen Beweis hierfür liefern können, aber der aufwändige militärische Überfall macht deutlich, dass hier mehr als nur Müll befördert wurde. Ansonsten hätte sich die erhebliche Investition in Waffen und Truppenstarke für die Angreifer nicht gelohnt. Die Investition wird auf etwa € 260.000 ,- geschätzt. Ein fünffacher Gewinn entspricht den in dieser risikoträchtigen Branche üblichen Margen, was für die Angabe des Wertes der erbeuteten Ladung spricht. Die Kl. hat darüber hinaus mit aufwändigen Grafiken gezeigt, wie der Kurs für Diamanten, der über Wochen vor dem Überfall stabil geblieben war, am Tag nach dem Geschehen plötzlich um 0,00023 % fiel. Gemessen an dem prozentualen Anteil der behaupteten Menge der geraubten Diamanten am gesamten Markt für Diamanten entspricht der Betrag in Höhe von € 1.311.979,73 exakt dem Einfluss des Verkaufs einer solchen Menge von Diamanten auf den vorgenannten Kurs. Da die Bekl. keine andere Erklärung für das grosse Interesse der Angreifer für eben genau diesen Transport vorgebracht hat und die Berechnungen der Kl. auf den Cent genau stimmen, ist davon auszugehen, dass die Ladung tatsächlich Diamanten mit einem Wert von € 1.311.979,73 enthielt.

Eine Beschränkung der Haftung nach Artikel 23 CMR kommt nicht in Betracht, da nach Artikel 29 dieses Privileg der Bekl., wie bereits festgestellt wurde, nicht zusteht.

Der Einwand der Bekl., die Kl. mache den Anspruch treu- und sittenwidrig geltend, da sie offensichtlich die Absicht hatte, Diamanten nach Russland zu schmuggeln, beinhaltet eher einen Vorwurf an sich selbst als an die Klägerin. Zollrechtlich haftet in erster Linie derjenige, der die Waren tatsächlich über die Grenze bringt, nicht der Absender oder der Empfänger. Somit ist ein (versuchter) Schmuggel, der in diesem Fall tatsächlich nicht auszuschliessen ist, in erster Linie den LKW Fahrern zuzurechnen, für die die Bekl. einzustehen hat.

Die Behauptung der Bekl., die Kl. hätte der Wert der Ladung im Frachtbrief nach Artikel 24 CMR angeben müssen, ist nicht nachzuvollziehen. Eine solche Angabe hätte dem Wesen eines Schmuggels widersprochen.

Zu den nach Artikel 27 CMR beanspruchten CMR-Zinsen in Höhe von 5% pro Jahr ab dem 22.9.1981 ist Folgendes auszuführen: Zwar ist es richtig, daß der Schaden erst mehr als 20 Jahre später entstand, es bestehen jedoch gute Gründe, dem Zinsanspruch schon ab dem 22.9.1981 stattzugeben.

(...)

[Nebenentscheidungen]

Einsender: RA Mr Murk Muller, Berlin – Rotterdam

(Diese Persiflage kam 2006 als Beitrag zu einem Festschrift für Herrn RA Jürgen Knorre zu Stande und wurde innerhalb eines kleinen Kreises veröffentlicht)

 

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